Seit Tagen bin ich in Gedanken, in Gefühlen gefangen. Ich möchte gerne einmal innehalten. Schweigen. Und auch das Denken schweigen lassen. Doch das ist nicht so einfach. Die Gedanken brauchen einen Kanal. Dieser Blogpost ist einer.
Anhalten, einfach anhalten
Ich fahre seit Anfang des Jahres Zug. Wie ein ganz normaler Pendler. Viermal die Woche. Da ist eine gewisse Regelmäßigkeit darin. Und das ist im Prinzip gut so. Es verschafft mir ein wenig Freiheit. Es mag merkwürdig klingen, doch tatsächlich ist es so, dass damit zumindest eine Bedrohung, die mein Leben in den letzten Jahren täglich für mich aufs Neue zu etwas Ungewissen hat werden lassen, für mich weniger mächtig wurde. Ich kann nicht sagen, dass mein Leben dadurch wesentlich leichter geworden ist. Dennoch ermöglicht mir dieser Job, der mich endlich wieder richtig in die Welt der Bücher gebracht hat, meinen Alltag anders zu gestalten und weniger sorgenvoll auf Konto und Familie zu blicken. Soweit so gut zum Thema Routine. Soweit auch zum Thema Freiheit. Denn leider ist diese Freiheit, die ich durch ein gewisses regelmäßiges Einkommen erhalte, teuer bezahlt.
Genauso regelmäßig, wie ich jetzt seit sieben Monaten Zug fahre, muss ich jeden Monat mindestens einen traurigen Moment erleben. Immer dann, wenn die Züge einmal nicht fahren beziehungsweise nicht mehr weiterfahren. Für gut 2 Stunden steht dann alles auf dieser Strecke still. Und das sind nur die Momente, die ich selber wahrnehme. Es mag durchaus noch andere geben, von denen ich nichts mitbekommen habe. Denn glücklicherweise ist die Presse hier so, dass sie nicht jeden Suizid gleich reisserisch mit Bild und Text illustriert und in die Welt hinausposaunt. Auch die Analyse ach so schlauer Medienmenschen fällt damit weg.
Egal wie fern – es bleibt ein Schmerz
Dennoch bleibt in einer so kleinen Region nicht viel unbemerkt. Noch dazu, wenn sich diese Fälle häufen. In einem bestimmten Abschnitt, es ist bei Leibe auch kein Tourismus an dieser Stelle. Nein, diese Menschen, die ihrem Leben auf doch recht grausame Art und Weise ein Ende setzen, kommen aus der Nähe. Umso mehr belastet es die, die es mitbekommen. In den letzten Monaten waren es zwei Leben, um die ich besonders trauere. Zwei Tragödien, die nicht alleine auf diese Menschen beschränkt sind. Die andere in einem Zustand zurücklassen, mit dem auch diese schwer zurecht kommen. Nicht nur für kurze Zeit, nein, es dauert lange, bis sie diese Tatsache überhaupt annehmen und noch länger bis sie ein wenig begreifen können und noch viel länger bis sie damit zurecht kommen können – auf irgendeine Art und Weise. Die beiden, deren Schicksal mir so nah geht, kannte ich nicht persönlich. Doch bei beiden kenne ich die, die zurückbleiben. Die, die sich jetzt Fragen stellen, ob sie schuld daran sind, oder, ob sie es hätten verhindern können. Auch die sind dabei, die nicht begreifen können, wie ein von ihnen geliebter Mensch sie verlassen kann. Einfach so. Mit diesen Menschen zu reden, ist nicht leicht. Ich kann daher jedem nachempfinden, wenn er sagt, ich kann das nicht. Wobei das Reden eigentlich gar nicht so wichtig ist, es ist vielmehr das Zuhören. Das für den anderen da sein, das Trost spenden in einer eigentlich untröstlichen Situation. Beide Fälle sind wirklich tragisch für mich, zum einen, weil ich als Mutter mit verzweifle, dass ein Kind, ein geliebtes Kind, sein Leben für nicht mehr lebenswert hält. Zum anderen, weil es eben so schwer zu verstehen ist, wie die Mutter ihr einziges Kind alleine zurücklassen kann. Wie groß muss die Verzweiflung dieser Menschen gewesen sein. Und, wie wenig sichtbar für viele.
Innehalten und verarbeiten
Ich muss das aufschreiben, weil es zehrt. Und jeder Fall, der neu dazu kommt, sei es nun auf diese oder auf eine andere Art und Weise, wühlt mich auf. Lässt mich zweifeln daran, dass diese Welt noch menschlich ist, den Menschen noch Raum gibt zu sein, wie sie sind. Mit allen ihren Sorgen und ihrer Pein. Die verursacht, dass sie sich verstecken müssen hinter Fassaden, die kaum einer durchblickt, die funktionieren müssen, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Bis sie nicht mehr können. Wo ist die Menschlichkeit geblieben? Und dann kommt nach einer Woche, gefüllt mit Berichten von Attacken und erweiterten Suiziden noch ein Mensch dazu, den ich auch persönlich getroffen hatte und ein wenig kannte.
Und bei dem es für mich erst recht tragisch ist, dass er, der für viele Vorbild und Mutmacher war, für sich selbst den Weg nicht mehr sah. Ich kann nicht alle zitieren – ich will es auch nicht. Jeder, der es zum Anlaß nahm, zu schreiben, hat gute eigene Gründe. Einzig ein Zitat erlaube ich mir, weil es so wunderbar treffend ist und ich das auch bei anderen bemerke: „das … klar erkennbare schwarze Wölkchen über seinem Kopf“.
Das Dilemma mit der Empathie
Denn eigentlich will ich Euch etwas über mich erzähen, und warum diese Nachrichten, das Reden darüber und die Analysen so fatale Wirkung haben. Bei anderen – und auch bei mir. Ich spüre bei Vielen Empfindungen, die manche Menschen nicht öffentlich teilen, die sie hinter einer Fassade zurückhalten. Ich bin sicher, viele, bei denen ich etwas spüre, haben keine Ahnung davon. Ich bin ein vorsichtiger Mensch, ich dränge mich nicht auf. Im Gegenzug lasse ich auch nicht jeden so wirklich nah an mich ran. Was ich aber bei denen versuche, deren Stimmung, deren Not mir nahegeht, ist, Kontakt aufzunehmen. Hilfe zu bieten.
Nicht immer gibt es eine reale innige Verbindungslinie. Manche wissen gar nicht, wie nah sie mir manchmal sind – oder ich ihnen. Es ist einfach zu dem Zeitpunkt mein Empfinden. Ich kenne des öfteren selber nicht die Gründe dafür. Ich weiß nur, dass es mir in dem Moment wichtig ist, für den anderen da zu sein, wenn er es annimmt. So kann es sein, dass ich mitten in der Nacht auf Tweets mit einer Direktnachricht reagiere und vorsichtig anfrage, ob Gesprächsbedarf ist. Ob den anderen eine Not plagt, eine offenes Ohr helfen kann. Oder ich schicke ein Bild. Oder aber auch, dass ich einfach anrufe. Alles jedoch im privaten, nicht öffentlich. Denn gerade dann ist es wichtig, im geschützen Raum miteinander zu sein und sich sicher zu fühlen. Und ebenso wichtig finde ich, ist das Fragen, ob das, was ich versuche, für den anderen in Ordnung geht. Ein bisschen ist es so, dass ich versuche, heauszufinden, was richtig ist. Oder, wie ein Blogbeitrag es treffend mit: „Zeiten zu scherzen und Zeiten zu schweigen“, zusammenfasst. Ob es ihm in dem Moment nicht als Last sondern als kleines Ausruhen und Innehalten, Sortieren und Klären dienen kann. Oft passiert es dann, dass das Gegenüber sich mitteilt, ohne dass ich frage. Einfach so. Dann weiß ich, dass wir eine Ebene gefunden haben. Und ich ziehe mich wieder zurück, wenn die Zeit reif ist. Wenn der andere nicht mehr mag, jemanden anderen oder auch im Idealfall seine Balance gefunden hat. Es gibt auch Menschen, die sich auf dieser Ebene von mir entfernt haben – ich lasse sie ziehen.
Im Moment jedoch wünschte ich mir, ich hätte mehr Ruhe. Mehr inneren Frieden. Meine Kraft ist ein wenig verbraucht in den letzten Jahren. Zuviel, das sich änderte, zu viel das sich wandelte. Ohne den Ruhepool im eigenen Leben. Den Platz, an dem die eigene Seele sich erfrischen und laben kann. Darum kann ich vielleicht jetzt so ehrlich sein und sagen: Manchmal wird es mir zu viel. Und ich will innehalten. Und ja, manchmal wünsche ich mir auch, dass mich jemand fragt. Aber das ist halt so bei Menschen wie mir. Da muss erst eine (aus meiner ganz persönlichen Empfindung heraus – nicht verifiziert!) Seelenverwandte schreiben: Wenn Du Hilfe brauchst, dann frag danach … Oder auch anbieten: ich bin immer für Dich da, meld‘ dich, wenn …
Wenn das doch immer mal so leicht wäre.
Ich mache mir ein Bild von Dir
Jeder tut das, ich mache mir ein Bild von anderen, ich mir ein Bild von mir, andere sich ein Bild von mir. Hinter dieses Bild zu blicken, ist nicht jedem gegeben. Manchmal ist es einem nicht wichtig genug. Manchmal kommt es mir nicht in den Sinn, überhaupt an dem Bild zu zweifeln. Aber ich glaube, jeder hat mehr als eines*. Und manchmal blitzt das andere durch. Manchmal fällt eine Fassade, auch das habe ich schon erlebt. Gerade darum muss einmal gesagt werden, was gesagt werden muss. Die starke Frau ist wirklich stark, aber manchmal eben auch – nur dank der Fassade. Jetzt jedenfalls, habe ich das hier öffentlich gesagt. Wenn ich Glück habe, bewegt es mehr als nur mich 😉 …
(*Übrigens, eine liebe Freundin hat meinem Blog ein dezent neues Erscheinungs-Bild gegeben, wofür ich ihr sehr sehr dankbar bin. Jetzt brauche ich nur mal endlich gescheite neue Fotos von mir. Das ist jetzt aber sowas von Offtopic…)
Anna says
Liebe Su,
und wieder vergeht gerade ein Jahr in dem wir uns noch nicht getroffen haben.
Aber du hast mich getroffen.
Mit deinem Outing hier, dem wie du dich so zeigst. Getroffen von dem was du erzählst.
Ich kenne die Schuld derer, die danach weiter leben müssen und weiß, wie viele Jahre vergehen können, bis vielleicht was verheilt davon. Und ich weiß, wie gut es ist, wenn dann wer da ist. Mehr nicht!
Einer der es aushält, dass man das selber nicht tragen kann, während verblüffender Weise das Leben doch weiter geht.
Auf einander aufpassen und anbieten da zu sein, kann vielleicht wirklich helfen. Vielleicht.
Dein Text macht, dass ich noch mehr wünsche, wir schaffen es, uns zu treffen!
Ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass dein Innehalten dir Kraft schenkt und dein davon Schreiben auch.
Danke fürs Schreiben!
Anna
Su C. Steiger says
Liebe Anna,
ich danke Dir. Auch, wenn ich, ebenso wie Du, weiß, dass keiner „die Schuld“ trägt.
Gerne getan.
und: ach, das wünsche ich mir auch, dass wir uns mal in echt treffen. Du bist herzlich willkommen.
Su
Christine Finke says
Ich finde die Fotos oben sehr, sehr schön! (Im Prinzip auch off topic. Wollte ich aber gesagt haben.)
Viele Grüße,
Christine
Su C. Steiger says
ich lache hier laut, ja ziemlich off topic – und: meine Haare sind doch auch viel kürzer schon länger :D. Danke, liebe Christine. Ich mag sie ja auch. (Ob ich mal einfach retuschieren sollte? ich hab mal gehört, mit Photoshop… *irrekicherndab*)
Jana Stahl says
Ach … hach.
Su C. Steiger says
Ach … Danke, Jana.
<3